Plattformökonomie: Digitales Unternehmertum oder Scheinselbstständigkeit 2.0?
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Wo ist mein nächster Gig?: Das bedeutet Plattformökonomie
Digitale Plattformen vergeben Kleinaufträge (Gigs) an Soloselbstständige, die je nach Metier on- oder offline ihre Dienste am vermittelten Auftraggeber gegen ein vereinbartes Honorar verrichten. Auf Plattformen wie z.B. Helpling, Uber oder auf content.de können Soloselbstständige meist unkompliziert mit ihrem Know-how andocken und nach erfolgreicher Vermittlung diverse Mikrojobs erhalten, u.a. Handwerker-Tätigkeiten, Transfer- und Kurierdienste oder auch kreative Arbeiten wie z.B. Webdesign und professionelle Texterstellung.
Chancen und Risiken der Plattformökonomie: Flexibler Freelancer oder Scheinselbstständig?
Hohe Flexibilität und ein niedrigschwelliger Zugang zu vermittelten Aufträgen zählen zweifellos zu den Vorteilen, die Crowdworker genießen. Für Freiberufler, die unabhängig und remote arbeiten, sind digitale Plattformen eine unkomplizierte Präsentation ihrer Dienstleistungen vor einer Vielzahl an Kunden, die in Eigenakquise mit einem größeren Eigenaufwand in Marketing und Vertrieb erst überzeugt werden müssten.
Aber auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit oder unter den aktuellen Einschränkungen der Corona-Pandemie wächst das Interesse an digital vermittelter Arbeit.
Unzureichende Entlohnung bzw. soziale Sicherung von den zumeist solo-selbstständigen Plattformtätigen stehen indes seit Längerem in der Kritik. Das Bundesarbeitsministerium unter Hubertus Heil (SPD) will deshalb #FairePlattformen etablieren und erhält jetzt indirekte Unterstützung vom Bundesarbeitsgericht in Erfurt.
Die höchsten Arbeitsrichter gaben am Dienstag einem Kläger, der nicht als Selbstständiger behandelt und Arbeitnehmerrechte geltend machen wollte, teilweise recht. (vgl. hierzu BAG, 01.12.2020 - 9 AZR 102/20)
Soloselbstständiger ist Arbeitnehmer mit Urlaubsanspruch und Kündigungsschutz
Geklagt hatte ein Soloselbstständiger, der im Auftrag für eine Plattform Fotos für die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen anfertigte. Für diese Mikrojobs erhielt der Crowdworker im Schnitt 1800 EUR im Monat bei 15-20h Arbeitszeit pro Woche in einem Zeitfenster von zuletzt 11 Monaten. Nach fast 3000 solcher Aufträge war plötzlich Schluss mit der barrierefreien Zusammenarbeit. Der Account des Gigworkers wurde geschlossen, die weitere Zusammenarbeit beendet. Die Begründung des Plattformbetreibers: Unzureichende Arbeitsqualität.
Unterstützt von der IG Metall beschritt der Betroffene den Rechtsweg. Seine Forderung: Anerkennung eines de facto Arbeitnehmerstatus, der unrechtmäßig gekündigt wurde, eine finanzielle Entschädigung für drei Monate, die Freischaltung seines Accounts sowie 22 Tage bezahlten Urlaub.
Nachdem alle vorgeschalteten Instanzen den Plattformbetreiber im Recht sahen, entschied das Bundesarbeitsgericht unter Berufung auf 611a BGB nun teilweise im Sinne des Crowdworkers und stellte fest:
Der Kläger leistete in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit.
Auszug aus der Presseerklärung des Bundesarbeitsgerichts vom 1.12.2020
Zusätzliche Vergütungsansprüche aus der inzwischen beendeten Zusammenarbeit mit dem Plattformbetreiber erkannten die obersten Arbeitsrichter allerdings nicht an, sondern verwiesen den Fall zurück an das Landesarbeitsgericht München.
Welche Folgen hat das Urteil des Bundesarbeitsgerichts für Plattformtätige- und betreiber?
Die IG Metall begrüßt die Entscheidung und sieht Crowdworker in prekärer Scheinselbstständigkeit unterstützt. Diese könnten nun höchstrichterlich gestärkt ihre Rechte gegenüber Plattformbetreibern selbstbewusster vertreten.
Freuen wird das Urteil auch Bundesarbeitsminister Heil, der bereits in KW 48 ein Positionspapier inklusive Forderungskatalog für Faire Arbeit in der Plattformökonomie vorgestellt hatte. Hier enthalten sind Mindestkündigungsfristen für Plattformtätige, eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder ein besonderer Schutz für "Arbeitnehmerinnen", die schwanger sind (Mutterschutz). Geht es nach dem Wunsch des BMAS sollen Crowdworker, die sich selbst als Arbeitnehmer einer digitalen Plattform einstufen, in Zukunft noch leichter ihre Arbeitnehmerrechte geltend machen dürfen. Die Beweispflicht, ob eine abhängige Beschäftigung tatsächlich vorliegt oder nicht, will Heil im Streitfall den Plattformbetreibern auferlegen.
Auf der anderen Seite schläft auch die Rechtsabteilung deiner digitalen Plattform nicht. Eine Anpassung der gültigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) auf das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts wird unter Juristen gleichsam erwartet. Sollte sich der Bundesarbeitsminister mit seinen Forderungen nach fairer Arbeit in der Plattformökonomie vollends durchsetzen, ist auch eine Abwanderung ins europäische Ausland für Betreiber digitaler Plattformen kein unbekanntes Ausweichmanöver.
Du bist als Freelancer, Solopreneur oder nebenberuflich selbstständig in der Plattformökonomie tätig? Wir halten dich auf dem Laufenden, sobald Bundesjustiz- und Bundesarbeitsministerium über das Heil´sche Eckpunktepapier rechtskräftig übereinkommen und informieren dich zum gegebenen Zeitpunkt über alle arbeitsrechtlichen Konsequenzen.
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