Die EU-Mehrwertsteuerreform
Die EU-Mehrwertsteuerreform soll den grenzüberschreitenden Handel vereinfachen. Dafür sind verschiedene Neuregelungen zur Abschaffung von Schwellenwerten, die Einrichtung von One-Stop-Shops im Sinne einer administrativen Erleichterung und die Neubewertung von Risikogeschäften vorgesehen. Die Regelungen treten schrittweise seit 1. Januar 2019 bis 2022 bzw. 2027 in Kraft. Die Regelungen der EU-Mehrwertsteuerreform gelten für E-Commerce-Unternehmen, die Waren an Endverbraucher liefern ab dem 1. Januar 2021. B2B-Geschäftsbeziehungen müssen der Richtlinie ab 2022 Folge leisten. Steuerbetrug soll erschwert und Mehrkosten für grenzüberschreitende Lieferungen sollen eingedämmt werden.
Zusätzliche Mehrwertsteuereinnahmen für die EU-Mitgliedstaaten und weniger Befolgungskosten bei grenzüberschreitenden Umsätzen für Unternehmen sind die erklärten Hauptziele der EU-Mehrwertsteuerreform.
- Besteuerung grenzüberschreitender Lieferungen von Gütern in der EU am Bestimmungsort mit dem Steuersatz des Bestimmungsortes. (Deutsche Unternehmer sind zwar nach wie vor für die Erhebung und Ausweisung des jeweils geltenden Steuersatzes verantwortlich. Der Gesetzgeber schafft jedoch administrative Erleichterung durch eine Erweiterung des One-Stop-Shop-Verfahrens, die Einführung von Bagatellgrenzen und durch das Siegel des „Zertifizierten Steuerpflichtigen“.)
- Vereinfachung der Regeln für Reihengeschäfte
- Vereinfachung der Regeln für Konsignationslager
- Vereinfachung der Regeln für Kleinunternehmer
Die Neuerungen der EU-Mehrwertsteuerreform betreffen alle Unternehmer, die am grenzüberschreitenden Warenverkehr via B2C, B2B oder mithilfe von Fulfillment-Partnern teilnehmen. Die EU-Mehrwertsteuerreform will außerdem Kleinunternehmer umsatzsteuerlich begünstigen. Besonders zuverlässige Steuerpflichtige belohnt die neue EU-Mehrwertsteuerreform mit einer eigens geschaffenen Zertifizierungsmethode. Betrugsanfällige Sachverhalte wie Konsignationslager und Reihengeschäfte werden durch die Reform ebenfalls neu geregelt.
Als zertifizierte Steuerpflichtige gelten der EU künftig Unternehmer, die einen Nachweis über eine entsprechende „Zuverlässigkeit“ erbringen können. Gelingt ihnen das, profitieren sie von verschiedenen Vereinfachungsregelungen im grenzüberschreitenden Warenverkehr.
Folgende Kriterien sind notwendig, um als zertifizierter Steuerpflichtiger zu gelten:
- Der Unternehmer ist in der EU ansässig.
- Es liegen (bisher) keine schwerwiegenden oder wiederholten Verstöße gegen steuer- oder zollrechtliche Vorschriften vor. Es wurden keine schweren Straftaten im Rahmen der Wirtschaftstätigkeit begangen. Bei Gesellschaften gilt dies für die Geschäftsführer.
- 1A-Prozessmanagment-Nachweis durch interne Kontrolle aller unternehmerischen Tätigkeiten und Warenbewegungen
- Bonitätsnachweis (Dieser Nachweis gilt erbracht, wenn sich der Unternehmer in einer zufriedenstellenden finanziellen Lage befindet, die es ihm erlaubt, seinen Verpflichtungen in Zusammenhang mit der betreffenden Tätigkeit nachzukommen. Alternativ sind Garantien durch Versicherungen, andere Finanzinstitute oder sonstige in wirtschaftlicher Hinsicht zuverlässige Dritte zulässig.)
Bis auf den Nachweis, dass keine Gesetzesverstöße vorliegen, beziehen sich diese Kriterien (noch) nicht auf die Vergangenheit. Es wird sich zeigen ob das System des zertifizierten Steuerpflichtigen analog zu zollrechtlichen Bestimmungen bei Verstößen ebenfalls von Beobachtungszeiträumen durch die Behörden Gebrauch machen wird.
Ausgenommen von der Möglichkeit zu Antragsstellung sind folgende Personenkreise:
- Nichtunternehmer
- pauschal besteuernde Landwirte
- Unternehmer, die nur steuerfreie Umsätze erbringen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen nur gelegentliche Umsätze erbringende Unternehmer (wie z.B ein nicht-unternehmerischer Lieferer von neuen Fahrzeugen)
- nicht der Besteuerung unterliegende Kleinunternehmer
Kleinunternehmer, die auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung verzichtet haben, können den Antrag allerdings stellen.
Mit Inkrafttreten bereits zum 1.Januar 2019 ist der zertifizierte Steuerpflichtige die erste valide Neuerung der EU-Mehrwertsteuerreform.
Bei grenzüberschreitenden Lieferungen definiert der Gesetzgeber künftig nur noch einen einzelnen steuerpflichtigen Vorgang und zwar im Bestimmungsland der Lieferung. Der „Ort einer Lieferung“ liegt nicht mehr dort, wo die Lieferung im Inland beginnt, sondern verlagert sich zum Ort, wo die Warenbewegung endet. Damit entfällt gleichsam die bislang geltende Steuerbefreiung im Abgangsland. Der Prozess der Besteuerung wird für alle Beteiligten administrativ erleichtert. Nach wie vor melden Lieferer die zu versteuernden grenzüberschreitenden Leistungen in ihrem Ansässigkeitsstaat. Dies geschieht jedoch via zentraler Anlaufstellen. Die Regelung tritt für B2C-Geschäftsbeziehungen ab dem 1. Januar 2021 in Kraft. Grenzüberschreitende B2B-Transaktionen berührt die Richtlinie ab 2022. Ab dann sind B2B-Händler bei Transaktionen ins EU-Ausland nicht länger umsatzsteuerbefreit, sondern müssen sich nach den Umsatzsteuersätzen des Bestimmungslandes richten.
Stehen zunächst noch grenzüberschreitende Warenlieferungen im Zentrum der gesamten Neuverordnung, soll das Gültigkeitsprinzip final auf sämtliche Umsätze (inkl. Dienstleistungen) ausgeweitet werden.
An diese eigens hierfür eingerichteten „One-Stop-Shops“ zahlt der Lieferer nach wie vor anfallende Steuern. Im Rahmen der weiterführenden Verarbeitung seiner Daten durch die jeweiligen nationalen Steuerbehörden werden die Steuerbeträge regelkonform umverteilt inklusive einer Verrechnung von Mehrwertsteuer mit der entstandenen Vorsteuer.
Zum 1. Januar 2021 ändert sich die bislang geltende Schwellenwert-Regelung für grenzüberschreitende Warenlieferungen. Die für die einzelnen EU-Staaten bislang geltenden Schwellenwerte werden zu diesem Zeitpunkt abgeschafft und ein einheitlicher Schwellenwert eingeführt. Dieser beläuft sich auf 10.000 Euro netto im Kalenderjahr der Leistungserbringung und im vorangegangenen Kalenderjahr. Wird er überschritten, muss der Händler die Umsatzsteuer weiterhin in dem Land abführen, in das die Lieferung an den Endverbraucher erfolgte. Liegt er darunter, gelten die Umsätze als im Inland erbracht und werden nach den im Ansässigkeitsstaat des Unternehmers geltenden Sätzen berechnet. Die Meldung und Abführung der jeweils zu leistenden Steuer erfolgt gleichsam administrativ entschlackt in den One-Stop-Shops.
Sonderfall Fulfillment by Amazon (FBA)
Nutzen Online-Händler z.B. das FBA-Programm von Amazon und lagern Logistik und Rechnungslegung aus, können diese von der Ausnahmeregel zum Schwellenwert grenzüberschreitender Warenlieferungen inklusive administrativer Erleichterung nicht Gebrauch machen. Nutzen Online-Händler z.B. ein Lager bei einem Fulfillment-Dienstleister in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union und liefern an einen Endverbraucher in diesem Staat, gilt dies nach wie vor als eine reine Inlandslieferung, die nicht von der Neuregelung umfasst ist. Für diese Händler gilt nach wie vor eine Zusammenarbeit mit den örtlichen Finanzbehörden als unumgänglich.
Um künftig auch Lieferungen aus Drittstaaten innerhalb der EU besteuern zu können, definiert die EU elektronische Schnittstellen, über die Händler aus Drittländern Waren oder Services im Wert von unter 150 Euro in EU-Staaten verkaufen, umsatzsteuerlich wie die Händler selbst. Als elektronische Schnittstellen gelten
- Online-Marktplätze
- Plattformen, auf denen Dritte Services anbieten
- Online Shops, die ihren Kunden B2B-Verkaufsmöglichkeiten über einen eigenen Marktplatz eröffnen
- Dienstleistungsanbieter, die ein Lager oder den Versand und die Bestellabwicklung für Unternehmen aus Drittstaaten anbieten
Die Betreiber der "elektronischen Schnittstellen" sind mit Einigung der EU-Finanzminister im März 2019 künftig dafür verantwortlich, die anfallende Umsatzsteuer an das jeweilige Finanzamt in dem EU-Mitgliedstaat abzuführen. Damit verbunden ist die Verpflichtung, entsprechende Aufzeichnungen über die abgewickelten Verkäufe von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen zu führen und diese darlegen zu können.
Mit der EU-Mehrwertsteuerreform will der Gesetzgeber eine EU-weit gültige – und vor allem einheitliche – Kleinunternehmerregelung schaffen.
Kleinunternehmer sollen demnach Unternehmer sein, deren Umsatz in einem Mitgliedsstaat der EU maximal 85.000 EUR und in der gesamten EU nicht mehr als 100.000 EUR pro Jahr beträgt. Wer gemäß dieser Regelung der EU-Mehrwertsteuerreform Kleinunternehmer ist, muss keine Umsatzsteuer ausweisen, kann im Gegenzug aber auch keinen Vorsteuerabzug geltend machen.
Wer kein Kleinunternehmer nach dieser Regelung ist, dessen Umsätze innerhalb der EU jedoch pro Jahr den Schwellenwert von 2 Mio. EUR nicht übersteigen, profitiert von folgenden Erleichterungen:
- Abgabe nur einer einzigen Umsatzsteuererklärung pro Jahr
- Keine zwischenzeitlichen Umsatzsteuervorauszahlungen
- Vereinfachte Rechnungsanforderungen
- Kürzere Aufbewahrungsfrist zu umsatzsteuerlichen Sachverhalten
- Erleichterungen bei umsatzsteuerlichen Registrierungen
Bild-Urheber:
iStock.com/Kritchanut