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Bundesnotbremse beschlossen: Wie wirksam ist das neue Infektionsschutzgesetz?

Click&Meet im Handel bis Inzidenzwert 150. Gastronomie nur als Takeaway. Friseurbesuch mit negativem Corona-Test. Wie wirksam ist die Bundesnotbremse? Der Bundestag hat die Bundesnotbremse beschlossen. Sind die zentralen Inzidenzwerte zur Flankierung der Maßnahmen willkürlich oder gerechtfertigt? Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung? Alles, was du wissen musst.

Mikrokredit für Gründer und kleine Unternehmen

Kann die Bundesnotbremse die Dritte Corona-Welle stoppen?

Kann die Bundesnotbremse die Dritte Corona-Welle stoppen?

Der Bundestag hat die vieldiskutierte Formulierungshilfe der Regierungsfraktionen über eine Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes am Mittwoch in Teilen modifiziert verabschiedet. Nach weiteren nicht zustimmungspflichtigen Beratungen im Bundesrat, muss das neue Gesetz noch durch den Bundespräsidenten unterzeichnet werden, um voraussichtlich ab KW 17 in Kraft zu treten. Die Maßnahmen sind vorerst bis zum 30. Juni 2021 befristet.

Inwieweit § 28b Infektionsschutzgesetz Bestand haben wird, muss sich im Zuge angekündigter Verfassungsbeschwerden durch z.B. die Bundestagsfraktion der FDP oder privatwirtschaftliche Initiativen wie Händler-helfen-Händlern erst noch erweisen. 

Zwischenzeitlich gelten für Unternehmerinnen und Unternehmer sowie alle Bürgerinnen und Bürger die folgenden bundesweit einheitlichen Maßnahmen zur Viruseindämmung:

Inzidenzwert 100 ermöglicht Bund die Kompetenzhoheit

In allen Landkreisen oder kreisfreien Städten übernimmt künftig der Bund die Kompetenzhoheit, steigt der Inzidenzwert an drei aufeinander folgenden Tagen über den Wert von 100. Sämtliche jetzt in der Bundesnotbremse festgeschriebenen Maßnahmen treten dann jeweils ab dem übernächsten Tag in Kraft.

Bundesnotbremse und Inzidenzwert von 100+: Das gilt für Unternehmen

Bei einem Inzidenzwert von 100+ geöffnet bleiben:

  • der Lebensmittelhandel einschließlich der Direktvermarktung,
  • Getränkemärkte,
  • Reformhäuser,
  • Babyfachmärkte,
  • Apotheken,
  • Sanitätshäuser,
  • Drogerien,
  • Optiker,
  • Hörakustiker,
  • Tankstellen,
  • Stellen des Zeitungsverkaufs,
  • Buchhandlungen,
  • Blumenfachgeschäfte,
  • Tierbedarfsmärkte,
  • Futtermittelmärkte,
  • Gartenmärkte und
  • der Großhandel.

Bei einem Inzidenzwert von 100+ geschlossen bleiben:

  • Gastronomie,
  • Hotelerie,
  • Veranstaltungsorte wie z.B. Konzerthäuser und Clubs sowie
  • Museen, Theater und Lichtspielhäuser.

Im Dienstleistungsbereich bleibt alles, was nicht ausdrücklich untersagt wird, offen, also beispielsweise Fahrrad- und Autowerkstätten, Banken und Sparkassen, Poststellen und ähnliches.

Kontaktbeschränkungen gemäß Bundesnotbremse / Quelle: Bundesregierung

Kontaktbeschränkungen gemäß Bundesnotbremse / Quelle: Bundesregierung

Inzidenzwert von 100+ bis 150: Takeaway; Click & Meet; Negative Corona-Tests

Bis zu einer 7-Tage-Inzidenz von weniger als 150 Neuinfektionen dürfen alle Einzelhändler Click & Collect anbieten. Das bedeutet, Kunden dürfen nach vorheriger Online-Bestellung und mit Termin sowie negativem Corona-Testergebnis im stationären Handel einkaufen. Gastronomen dürfen weiterhin Lieferservice oder Takeaway anbieten.

Außenbereiche von zoologischen und botanischen Gärten dürfen ebenfalls über dem Inzidenzwert von 100 geöffnet bleiben.

Für körpernahe Dienstleister gilt: Nur medizinische und therapeutische Dienstleistungen sind ab einer Inzidenz von 100 möglich und diese selbstverständlich immer unter Maskenpflicht und Einhaltung der Hygienschutzmaßnahmen. Als Ausnahmen gelten Friseure und Fußpflege-Dienstleister. Hier erfolgt die Terminvereinbarung jedoch immer vorbehaltlich eines negativen Corona-Tests deiner Kunden.

Bundesnotbremse und Einzelhandel / Quelle: Bundesregierung

Bundesnotbremse und Einzelhandel / Quelle: Bundesregierung

Ab einer Inzidenz von 165: Schulen und Kitas schließen

Für Eltern und Arbeitgeber gilt. Bis zu einer Inzidenz von 165 erfolgt der Schulunterricht in Wechselunterricht, Schüler werden 2x wöchentlich getestet. Steigt die Inzidenz regional über 165 soll der Präsenzunterricht in Schulen und die Regelbetreuung in Kitas untersagt werden. Mögliche Ausnahmen gelten dann nur noch für Abschlussklassen und Förderschulen. Als Ausgleich hat der Gesetzgeber zusätzliche Kinderkrankentage für Arbeitnehmer beschlossen.

Bundesnotbremse für Gastronomen und Dienstleister / Quelle: Bundesregierung

Bundesnotbremse für Gastronomen und Dienstleister / Quelle: Bundesregierung

Bundesnotbremse: Was ist die Strategie der Bundesregierung?

Es geht in der Pandemiebekämpfung um die Reduzierung von Kontakten. Es geht darum, abendliche Besuchsbewegungen von einem Ort zum anderen – im Übrigen auch unter Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs – zu reduzieren.

- Bundeskanzler Angela Merkel (CDU) über die Relevanz nächtlicher Ausgangsbeschränkungen

Die zeitliche Spanne der nächtlichen Ausgangsbeschränkungen ab einem Inzidenzwert von 100 wurde zwar von ursprünglich geplant 21 bis 5 Uhr auf nurmehr 22 bis 5 Uhr abgeschwächt. Das Ausmaß ihrer Durchschlagkraft, um die dritte Welle zu brechen, ist jedoch gleichbleibend umstritten. Die Kausalität der Bundeskanzlerin wird gestützt durch britische Studienergebnisse, welche die anteilige Wirksamkeit nächtlicher Ausgangsbeschränkungen bei der Viruseindämmung (Reduktion des R-Werts) bei 10-20 Prozent beziffern. Demnach überwögen laut Merkel die Vorteile der Maßnahme ihre Nachteile. Nach 13 Monaten Pandemie-Erfahrung, November Light-Lockdown, "Weihnachten in Familie" und "Nach Ostern zündet der Impfturbo" unterschreibt die Redaktion den Schluss der Kanzlerin nur bedingt.

Auch ein weiterer struktureller Hebel der Bundesnotbremse steht in der Kritik. Wir erinnern uns an Maßgaben der 50-er oder sogar 35-er Inzidenz als Richtwerte für Öffnungsschritte und Lockerungen. Mittlerweile bewegt sich die Bundesregierung weit über diesen zuletzt als viruseindämmend klassifizierten Richtwerten.

Professor Dirk Brockmann, Physiker an der Humboldt-Universität Berlin und Experte für computergestützte Epidemiologie kritisiert die Vorgehensweise der Bundesregierung und hält es für "unwahrscheinlich", dass die aktuellen Maßnahmen, die jetzt wirken sollen, ausreichen werden, um die dritte Welle zu brechen. Ziel müsse vielmehr sein, eine Niedriginzidenz zu definieren, bei der möglichst schnell Öffnungen erfolgen könnten:

Es felt ein bisschen erstmal auszusprechen, was das Ziel dieser Maßnahmen ist. (..) Das richtige Ziel ist eine Niedriginzidenz. Dann kann man öffnen. Momentan halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Maßnahmen, die jetzt wirken, das schnell erreichen werden.

- Prof. Dirk Brockmann im Interview mit Tagesthemen am 21. April 2021

Dies unterstreicht Brockmann anhand der aktuell nur scheinbar positiven Entwicklung der Neuinfektionen. Pendelt sich der bundesweite Wert derzeit relativ gleichbleibend auf ca. 161 Neuinfektionen pro 7-Tage (Stand 22.4.) ein, könnte dieser Wert schnell deutlich ansteigen, sollten sich Mutationen wie die Coronavirus-Mutante B.1.1.7 deutlich schneller ausbreiten. Umso wichtiger sei die strategische Ausrichtung auf niedrige Inzidenzwerte und daran ausgerichtete verlässlichere Maßnahmen.

An diesem Punkt der Pandemiebekämpfung vermag man sich diesen worst case nicht mehr vorzustellen. Bleibt zu hoffen, dass gerechte Verteilung und unbürokratisches Durchimpfen der Bevölkerung bis zum Ende des Sommers der späten und zögerlichen Bundesnotbremse beihelfen werden.

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Bundesnotbremse: Regeln, Beschränkungen und Kritik am neuen Infektionsschutzgesetz

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Über den Autor
Kathleen Händel

Kathleen Händel

Kathleen schreibt seit 2018 im Magazin von Unternehmenswelt und Zandura über die wichtigsten Business-Themen & Trends für Gründer & Unternehmer. Zuvor war Kathleen als Redakteurin für die Social Startup-Szene, verschiedene Stiftungen und Kommunikationsagenturen tätig.

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