Resilienz: Kleine Unternehmen sind besonders agil
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Deutschlands Mittelstand #2: Wie resilient sind KMU?
Erst Corona-Pandemie und gestörte Lieferketten, dann Ukraine-Krieg, Sanktionen und Energiepoker – kleine und mittlere Unternehmen mussten ihre Resilienz in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich unter Beweis stellen.
Das RKW-Kompetenzzentrum gemeinsam mit der Oskar-Patzelt-Stiftung hat nun systematisch erfasst, auf welche Fähigkeiten und Strategien KMU zurückgreifen, um ein Unternehmen sicher durch schwieriges Fahrwasser zu führen.
Aufbau & Methodik der Studie zur Resilienz in KMU
Grundlage der Studie Deutschlands Mittelstand #2 bildeten die Fragebögen von 667 Unternehmen, welche zuvor die Jurystufe des Wettbewerbsjahrganges 2021 des „Großen Preis des Mittelstandes“ erreicht hatten. Die Aufgabe bestand darin, enthaltene Freitext-Felder zu einer Reihe unterschiedlicher Themen zu kommentieren, darunter beispielsweise Personalpolitik, Alleinstellungsmerkmal, Kooperationen, Risikomanagement, Mitarbeiterförderung oder Führungskultur.
Diese Texte wurden anschließend auf bestimmte Schlüsselbegriffe hin untersucht, anhand ihrer Auftrittshäufigkeit geordnet und den sechs Resilienzprofilen (s.u.) zugewiesen. Gleichzeitig erfolgte eine statistische Analyse der Signifikanz der Häufigkeit des Auftretens jedes Schlüsselbegriffes pro Unternehmensgröße.
Zur Erstellung individueller Resilienzprofile für unterschiedliche Unternehmensgrößen, wurden die teilnehmenden Unternehmen nach jährlicher Umsatzhöhe in vier Betriebsgrößen aufgeteilt:
- ca. 61 Prozent kleine Unternehmen: bis einsschließlich 10 Mio. Euro Jahresumsatz
- 26 Prozent mittlere Unternehmen: bis einschl. 50 Mio. Euro
- 7 Prozent mittelgroße Unternehmen: bis einschl. 100 Mio. Euro
- 6 Prozent große Unternehmen: mehr als 100 Mio. Euro Umsatz pro Jahr
Was ist Resilienz einfach erklärt?
Resilienz=lateinisch resilire: zurückspringen bzw. abprallen
Ursprünglich in der Werkstoff-Physik angewendet, bezeichnet Resilienz die Fähigkeit von Materialien nach Momenten der extremen Spannung wieder zurück in ihren Ursprungszustand zu finden. Übertragen auf Menschen und Organisationen bedeutet Resilienz u.a. die Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungssituationen (sinngemaß: „Das prallt an mir ab!“).
Resilienz in unterschiedlichen Facetten
Im Fokus der vorliegenden RKW-Studie steht die sogenannte „organisationale Resilienz“:
Organisationale Resilienz ist die Fähigkeit eines Unternehmens, disruptive Ereignisse zu verkraften und zu überleben, ohne die Unternehmensidentität vollständig umzukrempeln, wie beispielsweise im Falle einer Restrukturierung oder einer Änderung des Geschäftszweckes.
Während frühe Management-Konzepte der 1970er Jahre noch den Aspekt der „Widerstandskraft“ als wesentlich für resiliente Unternehmen betonten, sei Resilienz in dynamischen Märkten und innovativen Branchen gegenwärtig mit weiteren Kernkompetenzen verknüpft. Dazu zählen laut RKW-Kompetenzzentrum vor allem Faktoren wie Adaptationsfähigkeit und Innovationskraft.
DIN-Norm für Resilienz-Faktoren
Ein erweitertes Resilienzverständnis ist auch Gegenstand von Normungsbestrebungen. Industriestandards wie zum Beispiel der BS65000(2014) der British Standards Institution (BSI) oder die ISO-Norm 22316:2017 „Security and resilience – organizational resilience – principals and attributes“ beschreiben die grundlegenden Faktoren zur Steigerung der Resilienz in Unternehmen und geben Empfehlungen, die du in deinen Betriebsalltag integrieren kannst.
Eine externe Zertifizierung für unterschiedliche sensible Unternehmensbereiche ist gleichzeitig ein wirksames Instrument für dein Qualitätsmanagement. Dies gilt für deine Risikoabsicherung genauso, wie für Themen der Nachhaltigkeit, Transparenz (Lieferketten) oder die digitale Sicherheit (Datenschutzkonzept).
Die ISO 22316:2017 nennt neun Elemente zur Steigerung der Resilienz in Unternehmen:
- Geteilte Vision und Klarheit über den Unternehmenszweck: ist die Zukunftsorientierung des Unternehmens angemessen orientierend und anpassbar? Hat die Führung gleichermaßen die Freiheit, bestehende Ziele aufzugeben wie gegen Widerstand daran festzuhalten?
- Kontexte verstehen und beeinflussen: Ist plausibel, wie Organisation und Umwelt zueinander passen? Haben Durchsetzungsvermögen und Zielgerichtetheit den gleichen Stellenwert wie Überraschbarkeit und Neugier?
- Effektive und unterstützende Führung: Sind die richtigen Themen mit den richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt besprechbar? Können Führungskräfte gleichermaßen begrenzen wie öffnen?
- Festhalten von Werten, Zielen und einer positiven Einstellung: Gibt es in der Organisation Raum für persönliches Wachstum?
- Teilen von Informationen und Wissen: Redet und schweigt man über die richtigen Themen gegenüber den richtigen Mitarbeitenden?
- Verfügbarkeit von Ressourcen: Sind ausreichend Rücklagen für Unvorhergesehenes vorhanden? Passen Pläne und Ressourcen zueinander?
- Entwicklung und Koordination der Managementbereiche: streiten die Unternehmensbereiche über die richtigen Themen in einer Weise, dass man sich hinterher in die Augen schauen kann?
- Förderung von kontinuierlicher Verbesserung: Wird reflektiert, was gelernt und was beibehalten werden soll? Ist man bereit, Kompetenzen und Identitäten aufzugeben?
- Antizipation: Ist die Fähigkeit vorhanden, Veränderungen vorwegzunehmen und zu managen?
Ganz allgemein verstehen die Autoren von Deutschlands Mittelstand #2 den Begriff „Resilienz“ als die entsprechende Fähigkeit eines Unternehmens oder einer Organisation. Diese werde in der Wissenschaft durch drei Facetten charakterisiert:
Resilienz: Die Fähigkeit des Auskommens, der Anpassung und der Neuerfindung.
Frei nach dem Motto „ Ich will, weil ich kann, was ich muss“ kommen die genannten Aspekte bei Organisationen in sechs „Resilienz-Domänen“ zum Ausdruck.
Mach den Test: Wie resilient bist du?
Gemäß der sechs „Resilienz-Domänen“ zeichnen sich resiliente Unternehmen durch folgendes aus:
- Bewusstsein: Die Fähigkeit, ein allgemeines Bewusstsein für sich selbst und die Unternehmensumwelt zu entwickeln und den charakterisierenden Strukturen und Prozessen durch Bedeutungskonstruktion eine Relevanz zuzuordnen (Wichtig vs. Nichtig; Beobachten & Bewerten)
- Stabilität: Elemente der Stabilität, die eine gewisse Resistenz ermöglichen, aber auch Planbarkeit befördern und die Freistellung von Ressourcen für zukunftsgerichtete Investitionen ermöglichen
- Offenheit für Veränderung: die es ermöglicht, auch wesentliche Elemente des Unternehmens zu hinterfragen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen
- Flexibilität förderndes Verhalten: Die stärkere Betonung und Förderung von bestimmtem Verhalten gegenüber Strukturen und Regeln, welche eine höhere Flexibilität und bessere Nutzung insbesondere durch Selbstkoordination von Personalressourcen ermöglicht.
- Antrieb zu kontinuierlichem Wachstum: verbunden mit dem Anspruch, in den eigenen Märkten Veränderungen zu bewirken anstatt sich an diese anzupassen.
- Leistung: Ein Primat der Leistung, das Effektivität und Effizienz in den Vordergrund stellt.
So meistern kleine und mitttlere Unternehmen erfolgreich Krisen © Oskar-Patzelt-Stiftung
Resilienz im Mittelstand: „Fels in der Brandung“
Betrachtet man Resilienz nach Unternehmensgröße, werden Unterschiede in der Gewichtung einzelner Fähig- und Fertigkeiten deutlich.
Stabilität ist wichtigster Resilienz-Faktor
Damit Mittelständische Unternehmen ihre Führungsfunktion behaupten können, vertrauen diese verstärkt auf „klassische“ Vorstellungen von Resilienz. Begriffe, die mit der Domäne „Stabilität“ assoziiert werden können, bildeten den häufigsten genannten Faktor.
Aussagen hierzu wurden etwa doppelt so oft getätigt, wie jene zu den Domänen „Bewusstsein“, „Veränderung“, „Verhalten“ oder „Wachstum“. Einen Ausreißer bilden Begriffe zur Domäne „Leistung“, die – relativ gesehen – sehr selten vorkommen. Dies sei jedoch nur deshalb der Fall, weil Mittelständler ihre Leistung nicht, oder zumindest nicht offensiv, nach außen zur Schau stellten.
Über Leistung spricht man genauso wenig, wie über Geld
Die Befragten von Deutschlands Mittelstand #2 sind ausnahmslos führende Vertreter in ihrem Fach. Als Hidden Champions pflegen sie ein gewisses Understatement.
Aussprüche, wie etwa das schwäbische „Ned gschompfa isch globt gnuag!“ („Nicht geschimpft ist genug gelobt”) seien nicht nur bezeichnend für das Leitbild vieler Führungskräfte, sondern illustrierten auch das Selbstverständnis in der Außendarstellung vieler Mittelstands- und Familienunternehmen.
„Ned gschompfa isch globt gnuag!“ („Nicht geschimpft ist genug gelobt”)
Über Leistung spricht man genauso wenig, wie über Geld: Man bringt sie oder eben nicht! Dieses Credo sei kennzeichnend für den deutschen Mittelstand und deshalb nicht erwähnenswert, weil selbstverständlich.
Darüber hinaus ließe sich im Mittelstand „Leistung“ auch über andere Aspekte, beispielsweise über Innovationsführerschaft, besondere Fürsorge für Mitarbeiter oder regionale Verbundenheit am Standort, definieren.
Resilienz in kleinen Unternehmen: „Bewusstsein“ & „Veränderung“
Kleine Unternehmen hingegen betonten überdurchschnittlich oft die Rolle von „Bewusstsein“ und „Veränderung“ für den eigenen Erfolg. Resilienz bedeutet für sie vor allem das Erkennen von Risiken, aber auch Chancen sowie Agilität und Geschwindigkeit in der Anpassung an dynamische Marktumfelder.
Kleine Unternehmen sind „Flexibilitätswunder“
Im Vergleich mit den Unternehmen der anderen Betriebsgrößen setzten kleine Unternehmen auf Wandlungsfähigkeit als Kernkompetenz im Angesicht von Herausforderungen und Krisen. Dies passe laut RKW zum Narrativ von kleinen Unternehmen als „Flexibilitätswunder“, für die ein ganz wesentlicher Teil von Resilienz in der Anpassung an neue Verhältnisse bestehe.
Unbürokratisch, schnell, multifunktional
Aus Mangel erwächst besondere Kreativität – aufgrund ihrer Größe sind kleine Unternehmen selten in der Lage branchen- oder marktweite Veränderungen selbst aktiv voran zu treiben. Dafür zeigen Kleinunternehmen ihre Stärken in unbürokratischem Verhalten, was schnelle Veränderungen und Flexibilität begünstigt. Zusätzlich erlaubt häufig ein eher familiäres Miteinander im Unternehmen eine sehr persönliche und direkte Form der Führung.
Was können kleine Betriebe von Hidden Champions und agilen Startups lernen?
„An die Spitze kommen ist schwer, aber an der Spitze bleiben noch schwerer.“
- Führe dein Unternehmen, wie es dein Team von dir erwartet: sicher und aufbauend auf „Stabilität“.
- Nutze deine ureigenen Stärken und reagiere flexibel und anpassungsfähig auf Krisen bzw. alle externen oder unvorhergesehenen Ereignisse.
- Begreife Disruption als Chance, um neue Kundenwünsche zu erfüllen.
Disruption als Chance
Alles, was die Kunden lieber mögen als das, was sie vorher gekannt haben, ist disruptiv.
– Jeff Bezos
Die beste Möglichkeit für etablierte Unternehmen, sich gegen Disruptionen zu wehren, ist es, ebenfalls das Geschäftsmodell zu ändern. Dies gilt für Unternehmen in disruptiven Umfeldern und Situationen, völlig unabhängig von den Auslösern, seien es die Coronakrise oder die digitale und ökologische Transformation der Wirtschaft.
Frage dich deshalb zu jeder Zeit:
Was will mein Kunde, was ist mein Geschäftsmodell und wie kann ich es verjüngen?
Die Beschleunigung der Entwicklungszyklen bewirke laut RKW, dass die Innovation, auch die radikale, zu einer Daueraufgabe für Deutschland wird.
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sollten kleine und mittlere Unternehmen deshalb zwei Entwicklungen aufmerksam verfolgen. Das sind einerseits die Bedürfnisse ihrer Kundschaft und andererseits innovative Technologien und Geschäftsmodelle, die geeignet sein könnten, hierfür die besten Lösungen zu bieten.
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