Corona-Maßnahmen: Entschädigungsanspruch klärt BVerfG
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Warten auf eine Grundsatzentscheidung in der neuen Normalität
Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz: 850 Betroffene fordern Grundsatzentscheidung
Staatliche Entschädigungen im Fall von Betriebsschließungen in der Corona-Krise werden bis dato nur in Folge von konkreten Infektionsfällen gezahlt. Eine Kläger-Initiative aus nach eigenen Angaben mehr als 850 Betroffenen sieht indes ihre Grundrechte verletzt und wendet sich nun an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit einer Forderung nach Ausgleich ihrer Einnahmenausfälle. Parallel wollen die Anwälte der Geschädigten vor den Zivilgerichten einzelner Bundesländer Klage erheben. Damit forcieren sie eine Aussetzung der Verfahren und Grundsatzklärung vor der höchsten richterlichen Instanz.
Vertreten werden die Inhaber kleiner gastronomischer und Herbergsbetriebe sowie Ladenbesitzer vom Potsdamer Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Siegfried de Witt gemeinsam mit RA Prof. Dr. Ingo Heberlein, Experte für Fragen des Gesundheitsschutzes und RA Dr. Wolfgang Schirp, verantwortlich für Logistik und die Außenkommunikation der Initiative.
Entschädigung nur im konkreten Verdachtsfall?
Nach herrschender juristischer Auffassung sieht das Infektionsschutzgesetz bislang nur dann eine Entschädigung vor, wenn der Betriebsinhaber selbst infiziert wurde und deshalb die Schließung erfolgen muss. Was ist aber mit den behördlich angeordneten Präventivschließungen während des Corona-Lockdowns, die Gastronomen, Hoteliers, Einzelhändler, Club-Besitzer aber auch freiberufliche Künstler schuldlos hinnehmen mussten? Die Kläger-Initiative sieht hier maßgebliche Grundrechte verletzt und fordert eine juristische Anpassung sowie entsprechende angemessene Entschädigung im IfSG.
Welche Grundrechte soll die Bundesregierung verletzt haben?
Grundrechtsverletzung aus Art. 14 I und III GG: Recht auf Eigentum
"Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. (..) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. (...)"
Das Enteignungsgrundrecht ist ein Freiheitsrecht: Der Eigentümer soll – im Rahmen der Gesetze – über die Nutzung seines Eigentums frei entscheiden dürfen. Durch die Verordnungen der Landesregierungen sei den Eigentümern eine Nutzung ihres Eigentums jedoch untersagt worden.
Die Kläger würden zwar anerkennen, dass die Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bürger sowie zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Krankenhäuser erforderlich gewesen seien. Allerdings sei der hierfür notwendige Eingriff nur dann verfassungsmäßig, wenn ein angemessener wirtschaftlicher Ausgleich erfolge. Soforthilfen der Bundesregierung wie die Überbrückungshilfen oder ein erleichterter Zugang zur Grundsicherung erfüllten dies nicht.
Die Kläger fordern deshalb, das IfSG um eine Entschädigungsregel zu ergänzen und begründen dies mit einem verfassungsrechtlichen Anspruch der betroffenen Betriebe und Unternehmer.
Grundrechtsverletzung aus Art. 12 I GG: Recht auf freie Berufswahl
"Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen."
Besonders Kulturschaffende seien zudem in der Freiheit der Berufsausübung stark behindert. Die durch die Corona-Maßnahmen de facto ausgesprochenen Berufsverbote seien indes nur dann verfassungsmäßig, wenn die Betroffenen einen angemessenen Ausgleich erhielten, als Rechtsanspruch und nicht als Hilfsempfänger.
Nun ist laut Klägerführer RA Siegfried de Witt das Bundesverfassungsgericht in der Pflicht und soll Klarheit schaffen. Das IfSG sei laut de Witt insoweit verfassungswidrig, als es eben keine Entschädigung für die Nutzungsuntersagung der Eigentümer der Betriebe und die Berufsverbote aufgrund der Maßnahmen gemäß §§ 28,32 IfSG für "Nichtstörer" vorsieht. Der Gesetzgeber soll jetzt verpflichtet werden, eine entsprechende angemessene Entschädigung im IfSG vorzunehmen.
Brief an Gesundheitsminister Spahn (CDU): Wenigstens Betriebskosten sollen erstattet werden
Die Anwälte der Initiative haben sich außerdem mit einem Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gewandt und fordern hier zwar keinen vollen Ausgleich der durch die Pandemie entstandenen nur schwer bezifferbaren Schäden, mindestens die Betriebskosten der Betroffenen sollten aber gedeckt werden:
"Die Mitglieder unserer Initiative sind an der Situation völlig schuldlos. Dies ist der Preis der gewählten Strategie zur Bekämpfung der Pandemie." (RA Siegfried de Witt)
10 Prozent weniger Insolvenzen im ersten Halbjahr 2020 als noch ein Jahr zuvor: Krisenwunder?
Ob die Initiatoren erfolgreich sein werden, ist für viele Betroffene weniger Grundsatz- denn Existenzfrage.
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist im ersten Halbjahr 2020 zwar zurückgegangen. Fast 10 Prozent weniger Insolvenzverfahren gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres beobachtete eine entsprechende Creditreform-Studie. Dass dies in der Krise möglich sei, hinterfragen auch die Analysten.
Deutlich rückläufige Zahlen verzeichnete Creditreform im Fall von Kleinunternehmen mit einem Umsatz von unter 250.000 Euro. Sie seien zu 15 Prozent weniger als im Vorjahr zur Insolvenz gezwungen. Ausschlaggebend sei nicht die gute wirtschaftliche Situation, sondern die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Wie Betriebe davon profitierten, zeige beispielhaft das Gastgewerbe: So meldete das Statistische Bundesamt im Mai 2020 insgesamt 164 von einer Insolvenz Betroffene, im Mai des Vorjahres waren es noch 185 Gastronomen.
Was geschieht, wenn die Erleichterungen im Insolvenzrecht zum Jahresende wegfallen?
"Trojanisches Pferd" oder "Zombie-Experiment" nennen daher Branchen- und Medienvertreter bereits die Auswirkungen der beschlossenen Maßnahmen. Tatsächlich könnte die trügerische Zahlenwelt der Erhebungen spätestens ab Oktober zusammenbrechen.
Auf Forderungen der Bundesjustizminsterin Christine Lambrecht (SPD) nach Ausweitung der Erleichterungen im Insolvenzrecht bis Ende März 2021, einigte sich das Kabinett schließlich auf Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 31. Dezember 2020. Allerdings verschärfen sich die Bedingungen deutlich:
Die Verlängerung gilt nur noch für Unternehmen, die coronabedingt überschuldet sind, aber nicht mehr für Betriebe, die zahlungsunfähig sind
Dies verschärfe die Situation kleiner und mittlerer Betrieb in der Krise. Laut Creditreform werden 90 Prozent der Insolvenzverfahren in Deutschland aufgrund von Zahlungsunfähigkeit in Gang gesetzt. Als zahlungsfähig giltst du bereits dann, wenn du mehr als zehn Prozent deiner fälligen Verbindlichkeiten nicht binnen drei Wochen begleichen kannst. Von einer Überschuldung spricht man, wenn deine Schulden höher als deine Vermögenswerte sind und eine Fortführungsprognose für dein Unternehmen gleichzeitig negativ ausfällt. Einnahmeausfälle zu Zeiten der Pandemie wurden demnach noch abgefedert, doch aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Gelingt es dir in Q4 nicht deinen Verbindlichkeiten nachzukommen und kannst du keine positive Trendwende zeichnen, machst du dich u.U. einer Insolvenzverschleppung schuldig.
Als besonders bedroht stuft Creditreform vor allem Unternehmen aus dem Bereich Entertainment ein, dazu Reisebüros und die Hotellerie. Eine signifikante Verschlechterung im Zahlungsverhalten sei besonders in diesen Branchen zu beobachten.
Wie kann ich mich in Zukunft gegen Betriebsschließungen besser absichern?
Der Versicherer HDI reagierte laut Meldung des Handelsblatts als einer der ersten Versicherungsdienstleister und weitet jetzt sein Angebot einer Betriebsschließungsversicherung (BSV) auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus. Dies umfasse etwa Bereiche wie den Handel, das Handwerk und Dienstleistungen sowie freie Berufe wie Steuerberater, Ärzte oder Anwälte.
Nach Schätzungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft verfügten gerade in den besonders von Schließungen betroffenen Branchen wie das Hotel- und Gaststättengewerbe nur weniger als ein Viertel der Unternehmen über eine Betriebsschließungsversicherung. Diese ist zwar kein Garant für Entschädigungsansprüche im Fall von Lockdown-Maßnahmen aufgrund von SARS-CoV-2-Erregern, schützt dich jedoch bei expliziter Aufführung im konkreten Verdachtsfall bzw. profitierten Inhaber zuletzt auch bei Kulanzvereinbarungen.
Beispielhaft gilt eine entsprechende Vereinbarung der bayerischen Staatsregierung, des Hotel- und Gaststättenverbands gemeinsam mit den Versicherern, die dem hiesigen Gastgewerbe zumindest 15 Prozent der vertraglich vereinbarten Tagesentschädigung zusicherte. Bei neuen Vertragsabschlüssen sollen derartige "Ausnahmen" jedoch nicht mehr möglich sein. Hier gilt prinzipiell, dass die Schließung von einer Behörde per Verwaltungsakt und für den speziellen Einzelfall zuvor angeordnet worden sein muss, damit du Geld vom Versicherer erhältst. Präventive Lockdown-Maßnahmen sind also nicht ausdrücklich versichert. Das solltest du bei Neuabschlüssen im Blick behalten.
Alternativ bietet der Versicherer Munich Re eine individuelle Epidemic Risk Solution für Pandemie-bedingte Betriebsschließungen an, die weitreichenderen, jedoch gleichsam kostspieligen Schutz bieten kann.
Entschädigung nach Infektionsschutzgesetz: Hilfen und Kontakt
Du willst mehr zur Kläger-Initiative erfahren, die sich für die Grundrechte kleiner Unternehmen einsetzt? Auf der Website von Schirp und Partner Rechtsanwälte MbB erfährst du alle Details zur Forderung nach Entschädigung im Fall von Betriebsschließungen aufgrund der COVID-19 Pandemie.
Über die neue Betriebsschließungsversicherung der HDI sprach Christoph Wetzel, Vorstandsvorsitzender der HDI Versicherung zuletzt mit dem Handelsblatt (nicht barrierefrei).
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