COVInsAG: Insolvenzantragspflicht aussetzen bis 2021?
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Warum sind Branchenvertreter vom Vorstoß der Ministerin weniger begeistert?
Bereits zu Beginn der Corona-Krise hatte der Gesetzgeber reagiert und Anpassungen im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vorgenommen, damit auf den Lockdown für viele Unternehmen kein Shutdown folgen möge. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020, Haftungsbeschränkungen für Geschäftsführer und die Möglichkeit für sofortige Sanierungsmaßnahmen sollten kleine und mittlere Unternehmen unterstützen, sofern sie "unverschuldet und pandemiebedingt" in eine Schieflage geraten waren.
Gegenüber der BILD begründete Lambrecht jetzt ein prinzipiell via Verordnungsermächtigung im COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) festgeschriebenes Recht auf Verlängerung damit, betroffenen Unternehmen noch mehr Zeit geben zu wollen, um sich "durch das in vielen Branchen wieder anziehende Wirtschaftsgeschehen oder staatliche Hilfsangebote zu sanieren".
Koalitionspartner CDU/CSU äußert Bedenken zu "völlig falschem Signal an die Wirtschaft"
"Die Vorschläge von Bundesjustizministerin Lambrecht gehen (..) zu weit. Als Union können wir uns eine kurzfristige Verlängerung des Insolvenz-Moratoriums begrenzt auf Fälle der Überschuldung bis zum Jahresende 2020 vorstellen." (Dr. Jan-Marco Luczak, CDU/CSU Bundestagsfraktion)
Der Koalitionspartner CDU teilt die Einschätzung von Lambrecht nur bedingt. So schränkte der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Jan-Marco Luczak mit einer Pressemitteilung die Unterstützung seiner Partei ein und bezeichnete den Vorstoß weiterhin als "ein völlig falsches Signal an die Wirtschaft".
Pandemieunabhängige Insolvenzen dürften im Interesse der Gläubiger und der Erhaltung gesunder wirtschaftlicher Strukturen nicht verschleppt werden. Auch könne es keine weitere Verordnungsermächtigung für das Ministerium geben, mit der Maßnahmen einseitig bis in den Sommer 2021 gezogen werden könnten. Dies entspräche nicht einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, dass Luczak zur Klärung dieser weitreichenden Rechtsfragen als unabdingbar voraussetzt.
Als rechtspolitischer Sprecher seiner Regierungspartei bleibt Luczak einen Gegenvorschlag nicht schuldig. Aufgabe sei es jetzt vielmehr früh und unbürokratisch eine Sanierung zu ermöglichen und damit eine echte Fortführungsperspektive zu ermöglichen. Dies sei konkret mit der Einführung eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens auf Basis der entsprechenden europäischen Richtlinie bereits angedacht und müsse nun von Seiten der Ministerin in Form eines "schnellen" Gesetzesentwurfs vorangetrieben werden.
Hospitality Branche skeptisch: “Gefährlicher Pfad" des BMJV
Auch jene Unternehmer, welche die Bundesjustizministerin erklärt unterstützen möchte, sind ob der Hilfe skeptisch. Dirk Iserlohe, Aufsichtsrats-Chef der Dorint-Hotelgruppe, fordert in einem offenen Brief an die Ministerin eine Aufhebung des Überschuldungstatbestandes als Insolvenzgrund und spricht von einem "Trojanischen Pferd", sollte die geplante Verlängerung der Insolvenzantragspflicht durchgesetzt werden.
Willst du dich nicht dem Verdacht der strafrechtlich bewehrten Insolvenzverschleppung aussetzen, musst du den vom Institut der Wissenschaftsprüfer vorgegebenen Prognosezeitraum von zwei Jahren, in denen eine positive Fortführungsprognose aufgezeigt werden kann, einhalten.
Iserlohe spricht deshalb auch von einem “gefährlichen Pfad für strafrechtliche Konsequenzen gutgläubiger Unternehmer", den die Bundesjustizministerin mit der Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht jetzt bereiten würde. Angesichts der immensen Verluste für branchenübergreifend Unternehmen in der Krise seien Konsolidierungszeiträume von 4 besser noch 10 Jahren realistisch.
Der Unternehmer fordert denn auch die Aufhebung des Insolvenztatbestandes der Überschuldung aus dem deutschen Recht, ganz konkret das Entfernen der Klausel “Überschuldung” aus allen relevanten Gesetzen, insbesondere dem § 15a InsO und in § 42 (2) BGB und dem § 19 InsO.
Gilt Solidarität nicht für Alle?
“Wie will die Bundesregierung den deutschen Unternehmern demnächst erklären, dass ihre Firmen bei einer Überschuldung in Anbetracht der Corona-Krise Insolvenz anmelden müssen, wenngleich die europäischen Nachbarn in Kürze finanzielle Hilfe aus dem 750 Milliarden-Euro-Hilfs-Fonds erwarten dürfen?” (Dirk Iserlohe, Aufsichtsrats-Chef der Dorint-Hotelgruppe)
Der CEO der Honestis AG, zu der die Dorint Gruppe mit 61 Hotels in Deutschland, Österreich und der Schweiz und rund 4.500 Mitarbeiter angehören, spricht einen wichtigen Punkt an, den zu beantworten die Bundesjustizministerin bislang schuldig blieb. Eine einheitliche europäische Gesetzgebung und damit faire Wettbewerbsbedingungen im europäischen Wirtschaftsraum mit solidarischer Verteilung der verfügbaren Mittel kann nicht erfolgen, wenn de facto in vielen EU-Mitgliedsstaaten der Überschuldungstatbestand als Insolvenzgrund gar nicht verankert ist.
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